Positionspapier Liberales Bürgergeld

Beschlossen auf dem virtuellen Bezirksparteitag am 20. Februar 2022

Der Koalitionsvertrag zwischen FDP, SPD und Grünen sieht viele Neuerungen im Bereich der Grundsicherung vor. Die Koalitionäre haben sich darauf geeinigt, dass die aktuell noch als sehr schwerfällig und bürokratisch geltende Grundsicherung zu einem digitalen und unkomplizierten Bürgergeld weiterentwickelt wird. Dies bedeutet einen ersten wichtigen Schritt auf dem Weg zu einem System der sozialen Sicherung, das nicht nur die Menschen versorgt, sondern auch neue Chancen schafft – auf dem Weg zum Idealzustand des liberalen Bürgergeldes.

 Es sind jedoch weitere Schritte notwendig, um das bisherige System einem grundlegenden Wandel zu unterziehen und das Bürgergeld hin zu einer Leistung zu entwickeln, die einfach und zugleich chancenorientiert ist:

Zusammenfassung von Leistungen

 Eines der Fundamente des liberalen Bürgergelds ist der Gedanke der deutlichen Vereinfachung des bestehenden Sozialsystems, welches aus einer Vielzahl von steuerfinanzierten Sozialleistungen mit demselben Zweck besteht. Diese werden von jeweils anderen Ämtern und unter jeweils anderen Bedingungen ausgezahlt. Die Verwaltung der Leistungen kostet jährlich eine enorme Summe und bindet viele Ressourcen, die anderweitig eingesetzt werden könnten, beispielsweise in der Beratung oder aktiven Arbeitsvermittlung. Allein mit der Berechnung des Arbeitslosengeldes II sind aktuell mehr als 22.000 Mitarbeiter in den Jobcentern befasst. Das sind fast genauso viele Beschäftigte, wie in der aktiven Arbeitsvermittlung und Beratung.

Wir fordern daher eine Zusammenfassung aller steuerfinanzierter Sozialleistungen zum liberalen Bürgergeld. Dieses wird von einer Stelle bearbeitet und ausgezahlt, idealerweise dem Finanzamt. Eine mehrfache Beantragung von Leistungen erübrigt sich damit, genauso wie das Nachreichen von Unterlagen für eine weitere Leistung. Zudem verringert das liberale Bürgergeld das sogenannte „Behörden-Hopping“.

Zu den steuerfinanzierten Leistungen gehören vor allem folgende Leistungen:

  • Regelsatz, Mehrbedarfe, Kosten der Unterkunft
  • Grundsicherung im Alter
  • Grundsicherung bei Erwerbsminderung
  • Wohngeld
  • Elterngeld
  • Unterhaltsvorschuss
  • Bafög
  • Ausbildungsförderung
  • Asylbewerberleistungsgesetz

Die Länder erhalten zugleich die Möglichkeit, eigene Sozialleistungen in das Bürgergeld zu integrieren.

Alle Sozialleistungen, die das soziokulturelle Existenzminimum der Kinder sichern, wie beispielsweise der Kinderzuschlag, das Kindergeld oder das Bildungs- und Teilhabepaket, werden in der Kindergrundsicherung zusammengefasst und auf das Bürgergeld abgestimmt.

Förderung der Arbeitsmarktintegration

Der Grundgedanke des liberalen Bürgergelds ist, dass es einen Aufstieg ermöglicht. Daher soll im Bürgergeld verstärkt Fokus auf die aktive Arbeitsvermittlung, Ausbildungsvermittlung sowie Beratung gelegt werden. Die Beratung und Arbeitsvermittlung sollen dabei jedoch nicht als eine Aufnahme der Arbeit um jeden Preis verstanden werden, sondern vielmehr auch als psychosoziale Stabilisierung, Unterstützung in angespannten Lagen, Weiterbildung und vieles mehr.

Daher fordern wir:

Eine deutliche Verbesserung der Betreuungsschlüssel, von zurzeit 1:150 bei über- 25-Jährigen auf 1:100, sowie von derzeit 1:75 bei unter-25-Jährigen auf 1:60. Die Mittel für das zusätzliche Personal sollen vor allem durch Bürokratieentlastungen zur Verfügung gestellt werden.

Die Stärkung der sozialen Arbeit in der Betreuung von Bürgergeldbeziehern. Dies soll unter anderem durch eine Zusammenfassung der Angebote der örtlichen Sozialarbeit und der Jobcenter unter einem Dach erfolgen.

  • Zu Beginn des Bürgergeldbezugs soll die Beratung und Arbeitsvermittlung auf einer absoluten Vertrauensbasis basieren. Es erfolgt auf freiwilliger Basis und die Bezieherinnen und Bezieher werden zu keinen bestimmten Nachweisen verpflichtet.
  • Das ehrenamtliche Engagement kann einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen und Arbeitsmarktintegration leisten. Daher gilt es ein Konzept zu entwickeln, wie ehrenamtliches Engagement während des Bezugs besser gewürdigt werden kann.
  • Die Gründerberatung der Jobcenter muss neu aufgestellt werden. Im Rahmen von Unternehmensnetzwerken soll den Bezieherinnen und Beziehern mit Wunsch zur Existenzgründung eine praxisnahe Beratung angeboten werden. Hierbei sind die bereits bestehenden Strukturen der IHKs, Handwerkskammern und Gründeragenturen zu integrieren.
  • Die Jobbörse der Arbeitsagentur muss zu einem Portal weiterentwickelt werden, auf welchem auch Hochqualifizierte Jobs finden. Gerade Hochqualifizierte sollen auch gezielt auf die Möglichkeiten der Beratung durch die Arbeitsagenturen hingewiesen werden.

Zur erfolgreichen Integration in den Arbeitsmarkt gehört aber oft auch eine Weiterbildung. Diese muss von den Jobcentern gezielt gefördert werden. Neben der im Koalitionsvertrag vereinbarten Weiterbildungsprämie und der Möglichkeit zur Förderung auch dreijähriger Umschulungen fordern wir folgende Punkte:

  • Der Erwerb von Grundkompetenzen und die Alphabetisierung muss für Bürgergeldbezieher niedrigschwellig und ohne besondere Voraussetzungen möglich sein.
  • Die Weiterbildungsberatung der Arbeitsagenturen sollte stärker in die Beratung von Bürgergeldbezieherinnen und Beziehern zu Qualifizierungsmöglichkeiten einbezogen werden.
  • Für Menschen ohne einen Berufsabschluss oder mit einem nicht mehr verwertbaren Berufsabschluss muss der Erwerb eines Abschlusses im Vordergrund stehen.

Höhe des Bürgergeldes

Das Bürgergeld soll neben dem existenziellen Minimum auch das soziokulturelle Minimum absichern. Ein Bürgergeldbezug darf nicht dazu führen, dass sich ein Mensch komplett aus dem gesellschaftlichen Leben zurückzieht. Gerade Vereinsmitgliedschaften oder ein ehrenamtliches Engagement können einen entscheidenden Beitrag zur psychosozialen Stabilisierung und einer Arbeitsmarktintegration leisten.

Daher fordern wir:

Eine grundsätzliche Beibehaltung der aktuellen Berechnungsmethodik, die anhand des tatsächlichen Verbrauchs die Höhe der Leistungen berechnet. Einige Aspekte, wie beispielweise die Streichung bestimmter Posten oder das Ersetzen bestimmter Posten im Rahmen der Berechnung gilt es kritisch zu hinterfragen.

Die Regelbedarfsstufen müssen vereinfacht werden. Beispielsweise sollte fortan nur noch eine Regelbedarfsstufe für alle Erwachsenen gelten. Dies erleichtert die Berechnung und erspart den Bezieherinnen und Beziehern oft herabwürdigende Prüfungen durch das Jobcenter.

In Zusammenarbeit mit den Wohlfahrtsverbänden, Praktikern und diversen Forschungsinstituten sollte eine Studie zur Höhe des Bürgergelds erstellt werden. Im Rahmen dieser sind auch viele damit zusammenhängenden Fragen, wie beispielweise die Finanzierung langlebiger Geräte zu klären. Ebenso soll geprüft werden, regional unterschiedliche Lebenshaltungskosten und Kaufkraft in der Berechnung des menschenwürdigen Existenzminimums zu berücksichtigen.

Hinzuverdienstgrenzen verbessern

Ein gutes Sozialsystem muss den Anspruch haben, einen Weg in die Arbeit zu ebnen und jede Arbeitsaufnahme und jede Mehranstrengung finanziell zu belohnen. Aktuell bewirkt die Grundsicherung jedoch das Gegenteil davon, indem es eine Arbeitsaufnahme finanziell teilweise bestraft. Wer aus der Langzeitarbeitslosigkeit heraus eine Arbeit aufnimmt, muss derzeit von jedem hart erarbeiteten Euro 80-100% abgeben. Das ist weder motivierend noch gerecht. Vielmehr soll das Bürgergeld eine trittfeste Leiter aus dem Bezug bilden.

Daher fordern wir eine deutliche Verbesserung der Hinzuverdienstgrenzen und eine vollständige Abschaffung von Anrechnungsmodalitäten, die bei einem höheren Bruttoverdienst zu weniger Geld am Ende des Monats führen.

Entbürokratisierung

 Die aktuelle Grundsicherung ist hoch bürokratisch und führt zur Frustration sowohl bei den Bezieherinnen und Beziehern als auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Jobcenter. Anträge über viele Seiten und Bescheide, die mehr als 50 Seiten umfassen und für die Bezieherinnen und Bezieher nicht verständlich sind. Das alles führte noch bis vor kurzem dazu, dass jährlich über eine Milliarde Euro aus Mitteln für Weiterbildungsmaßnahmen und weiteren Arbeitsmarktmaßnahmen in die Verwaltung umgeschichtet werden musste. Zudem führt das aktuelle System auch zu mehreren Millionen Widersprüchen und vielen hundert Tausend Klagen jährlich. Wir befürworten daher die im Koalitionsvertrag vereinbarte Einführung einer Bagatellgrenze bei Rückforderungen und die Vereinfachung der Berechnung der Kosten der Unterkunft. Es gibt jedoch deutlich mehr Entbürokratisierungspotenzial im aktuellen System.

Daher fordern wir:

  • Die Errichtung einer Kommission aus Praktikerinnen und Praktikern zur Feststellung von Entbürokratisierungspotenzialen im aktuellen System.
  • Die Beibehaltung der deutlich vereinfachten und großzügigeren Vermögensanrechnung.
  • Die Schaffung klarer Vorgaben für die Kommunen zur Berechnung der Angemessenheitsgrenzen für Kosten der Unterkunft.
  • Die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets müssen komplett antragsfrei ausgestaltet werden. Es reicht zukünftig die Einreichung der Belege. Für die Kostenübernahme bei sportlichen und kulturellen Aktivitäten gilt es die Obergrenze abzuschaffen, denn die soziokulturelle Teilhabe von Kindern und Jugendlichen darf nicht vom Einkommen abhängen.
  • Für das Bürgergeld soll eine zentrale Ombudsstelle eingerichtet werden. Eine solche Ombudsstelle würde eine große Entlastung sowohl für die Jobcenter als auch die Sozialgerichte bedeuten, da viele Streitigkeiten niedrigschwellig und außergerichtlich gelöst werden könnten.
  • Im Rahmen der Kommunikation mit den Bürgergeldbezieherinnen und Beziehern sollte zudem mehr einfache Sprache verwendet werden. So können viele Missverständnisse bereits im frühen Stadium verhindert werden.

Digitalisierung

Das Bürgergeld soll vollständig digitalisiert werden. Im Rahmen vom Onlinezugangsgesetz (OZG) ist darauf zu achten, dass die schrittweise Integration von Leistungen in das Bürgergeld reibungslos ermöglicht wird. Dazu soll eine modulare Softwarestruktur wie auch modulare Rechtsbegriffe entwickelt werden.

Weiterhin soll die Anrechnungsfunktion von eigenem Einkommen (Hinzuverdienstgrenzen) über Computersimulationen regelmäßig optimiert werden.

Auf Wunsch des Beziehers muss es aber selbstverständlich weiterhin möglich sein, die Leistung auf Papier zu beantragen und analog zu beziehen.

Förder- und Forderinstrumente auf Motivation ausrichten

Das menschenwürdige Existenzminimum ist die unterste Grenze, die nicht unterschritten werden sollte. Daher strebt die FDP Sanktionsfreiheit für das menschenwürdige Existenzminimum an. In Sinne des liberalen Aufstiegsversprechens sollen Instrumente für Motivation und Chancen an die Stelle von Sanktionen treten. Die Bundesagentur für Arbeit wird aufgefordert, schrittweise die Förder- und Forderinstrumente auf Motivation statt Sanktion auszurichten. Weiterhin sollen wissenschaftliche Untersuchungen die Vorteile und Schwachstellen sowohl von Motivations- wie Sanktionsinstrumenten darlegen und Verbesserungspotentiale aufzeigen.

Unabhängig von dem grundsätzlich am Subsidiaritätsprinzip ausgerichtetem Bürgergeld, können einzelne Elemente des Sozialstaats wie auch eines integrierten Bürgergelds sehr wohl bedingungslos gewährt werden, etwa das Kinderchancengeld