Reformen für ein demokratisches Europa
Beschluss vom Bezirksparteitag (12.10.2019)
Wir Freie Demokraten wollen das Europäische Parlament nachhaltig stärken und endlich das Versprechen echter demokratischer Mitwirkungsmöglichkeiten aller Unionsbürger an der Politik und dem Führungspersonal der Europäischen Union erfüllen.
Wir fordern:
- Der Kommissionspräsident soll künftig, wie in jeder
parlamentarischen Demokratie, allein vom Parlament gewählt werden.
Jener Kandidat, der nach entsprechenden Koalitionsverhandlungen eine
Mehrheit auf sich vereinigen kann, ist gewählt. - Die restlichen Kommissare sollen künftig nicht mehr von den 27
Mitgliedstaaten vorgeschlagen werden, sondern auf maximal 18 Mitglieder
begrenzt und allein vom gewählten Kommissionspräsidenten nominiert
sowie einzeln vom Parlament bestätigt werden. - Das Parlament soll einzelne Kommissare künftig durch ein konstruktives
Misstrauensvotum absetzen können (und nicht wie bisher nur destruktiv die
gesamte Kommission mit Zweidrittelmehrheit). - Mittelfristig soll die Hälfte der Abgeordneten des Parlaments über
transnationale Listen der Europaparteien gewählt werden. Diese Listen
sollen durch Spitzenkandidaten angeführt werden, welche für die
Kommissionspräsidentschaft kandidieren. Die restlichen Abgeordneten
werden wie bisher über nationale Delegationen der Mitgliedstaaten gewählt,
sodass jeder Unionsbürger bei der Wahl zwei Kreuze machen kann. Wir
wollen das Wahlrecht hierzu europaweit angleichen sowie die Größe der
Delegationen von einer mathematisch nachvollziehbaren Formel abhängig
machen, die allein auf der Bevölkerungsgröße basiert. - Jede Fraktion sowie eine gewisse Anzahl von Abgeordneten im Parlament
und jeder Mitgliedstaat im Rat sollen jeweils ein vollwertiges Initiativrecht - Der Europäische Rat soll als eigene Institution abgeschafft werden. Die
Mitgliedstaaten sollen stattdessen nur noch im Rat der Europäischen Union
repräsentiert werden, welche zu einer gleichberechtigten zweiten Kammer
ausgebaut wird. Dies beseitigt unnötige Doppelstrukturen und macht das
politische System der EU unkomplizierter sowie einfacher verständlich. - Der Rat muss transparenter werden: Alle Dokumente und Sitzungen,
inklusive die der Ausschüsse und Arbeitsgruppen, sollen, analog zu denen
des Parlaments, unverzüglich und vollständig öffentlich einsehbar sein. - Wir wollen in Deutschland darauf hinwirken, dass – wie etwa in Dänemark
bereits üblich – die Bundesregierung vor jeder wichtigen Abstimmung im
Rat erst durch den Bundestag mandatiert werden muss. So stärken wir
unsere nationale Legislative, schaffen Raum für öffentliche Debatten über
EU-Politik und verhindern intransparente Alleingänge der Bundesregierung
(wie z.B. bei den Uploadfiltern). - Noch immer scheitern viele Lösungen für gemeinsame Probleme am Veto
einzelner Mitgliedstaaten im Rat. Das Europäische Parlament soll daher in
Zukunft das Recht erhalten, ähnlich des Bundestages eine Ablehnung des
Rates mit Zweidrittelmehrheit zu überstimmen und dadurch solche
Blockaden aufzulösen. - Wir wollen in allen Fragen, die in der ausschließlichen Zuständigkeit der EU liegen, zukünftig allein das Europäische Parlament über die Gesetzgebung entscheiden lassen.
- Derzeit erfordern selbst einfache EU-Richtlinien wie zur Regelung der
Farbe von Blinkern Mehrheiten im Rat, die in staatlichen Parlamenten nur
bei Verfassungsänderungen nötig sind. Dies verhindert die effektive und
schnelle Lösung von Problemen. Wir wollen daher, dass die doppelte
Mehrheit im Rat künftig nur noch die einfache Mehrheit der Staaten (statt
55%), die die Mehrheit der Unionsbürger repräsentieren (statt 65%)
Die Sperrminorität wollen wir abschaffen. Ebenso soll die
Änderung eines Gesetzesvorschlags gegen die Kommission keine
Einstimmigkeit mehr erfordern. - Die EU Grundrechtecharta soll künftig als unmittelbar geltendes Recht alle
staatliche Gewalt in Europa binden – unabhängig vom Europarechtsbezug. - Damit die Europawahl wirklich zu einer europäischen Wahl wird, wollen
wir, dass die FDP zur Europawahl 2024 auf ein eigenes Wahlprogramm
verzichtet und stattdessen das gemeinsame Wahlprogramm der ALDE
Diesbezüglich werden wir darauf drängen, dass die ALDE zur
kommenden Europawahl ein ausführliches Programm aufstellt, mit
konkreten Forderungen, die von einem liberalen und pro-europäischen
Geist getragen sind. Davon unberührt bleiben ergänzende Beschlüsse, die
sich spezifisch auf Deutschland beziehen. - Die EU soll künftig nach außen mit nur einer Stimme sprechen. Dafür
müssen in einem ersten Schritt das Amt des Hohen Repräsentanten
gestärkt und in „EU-Außenminister“ umbenannt werden. Außerdem sollen
Entscheidungen in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP)
mit doppelter Mehrheit (und nicht mehr einstimmig) getroffen werden, um
Vetos einzelner Länder zu verhindern. Das außenpolitische Agieren im
Rahmen der GASP sollte zum Regelfall und nationalstaatliche Alleingänge
zur absoluten Ausnahme werden. Wir wollen am Vorbild des
Commonwealth die Botschafter innerhalb der EU in „Hochkommissare“ - Auch in der Außenpolitik sollten integrationswillige Mitgliedstaaten
schneller voranschreiten. Daher fordern wir, bis zur Realisierung des Ziels
einer einzigen europäischen Außenpolitik, insbesondere die
deutsch-französische Integration zu verstärken, indem beide Länder ihre
Außenpolitik nicht nur noch enger abstimmen, sondern mittelfristig
vollständig zusammenlegen. Dementsprechend soll es nur künftig noch
einen einzigen deutsch-französischen Außenminister geben, der von
Bundeskanzler und Staatspräsidenten gemeinsam ernannt wird. Die Arbeit
der auswärtigen Ausschüsse der Parlamente soll von der
deutsch-französischen parlamentarischen Versammlung übernommen
Die nationale Verteidigungs- und Rüstungspolitik etwa könnten
davon auch zunächst unberührt bleiben, um verfassungsrechtliche Fragen
auszuklammern. - Um den Aufbau einer europäischen Identität zu verstärken, soll ein
vollwertiges europaweites Medienangebot geschaffen werden. Auch die
innereuropäischen Markteintrittshürden auf dem Medienmarkt müssen
abgebaut werden. Außerdem fordern wir die Veranstaltung einer
„Eurolympiade“ am Vorbild der Commonwealth Games. Der 9. Mai soll
europaweit zum Feiertag erklärt werden. - Für uns Freie Demokraten ist das Vereinigte Königreich fester Bestandteil
eines vereinten Europas. Wir fordern deshalb, dass die Tür für eine
Rückkehr in die EU, ob im geordneten Beitrittsverfahren nach einem
Austritt oder durch einen Widerruf der Austrittserklärung durch das britische
Parlament ggf. nach einem zweiten Referendum, stets offen bleibt. - Den Brexit begreifen wir als Weckruf, die EU endlich wieder
entscheidungs- und handlungsfähig zu machen, um die großen
Herausforderung unseres Jahrhunderts gemeinsam lösen zu können, statt
weiter im Stillstand zu versacken. Wir wollen den Brexit daher zum Anlass
nehmen, den nächsten europäischen Integrationsschritt zu gehen und
einen europaweiten Konvent einzuberufen, der auch die oben formulierten
institutionellen Reformen implementiert. - Unser Ziel bleibt ein föderalistischer, dezentraler, demokratisch verfasster europäischer Bundesstaat bzw. die „Vereinigten Staaten von Europa“, niedergelegt in einer gemeinsamen, europäischen Verfassung, die vom Unionsvolk in einem Referendum bestätigt werden muss. Wir Freie Demokraten sind optimistisch und mutig. Die europäische Geschichte hat schon bewiesen, dass einst viel undenkbarere liberale Utopien Realität werden konnten. Deshalb sind wir fest davon überzeugt, dass auch ein wahrhaft in Vielfalt geeintes, bundesstaatliches Europa in nicht allzu ferner Zukunft realisiert werden kann. Wir müssen es nur gemeinsam mit voller Überzeugung anpacken.